Frau Schletterer singt nicht mehr

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Ma
Bucket list
02.05.2024 09:13

Heute habe ich in einem Blog einen Beitrag gelesen, in dem die Autorin über die Erfüllung eines Traums berichtete, den sie einst geträumt hatte, dessen sie sich über all die Jahre aber gar nicht mehr so bewußt gewesen war bzw. den sie wegen scheinbarer Unerfüllbarkeit verdrängt hatte. Sie sprach von einer „bucket list“, von der sie immer geglaubt hatte, sie nicht zu haben, auf der aber offenbar dieser eine Wunsch schon seit Jahrzehnten stand.
Oft hört man von solchen „bucket lists“ ja, wenn Menschen altern und sich auf einmal bewußt werden, daß allzu viel Zeit nicht mehr bleibt. Da gilt es dann, die geheimen und weniger geheimen Wünsche ans Leben vielleicht doch noch wahr werden zu lassen. Noch diese oder jene Reise zu unternehmen, diesen oder jenen Ort noch einmal zu sehen oder meinetwegen den Sprung von einer Klippe am Ende doch noch zu wagen.
Ich bin aktuell noch nicht in einem Alter, in dem man – Gesundheit vorausgesetzt – allzu oft ans Sterben denkt. Aber das mit der Gesundheit ist halt so eine Sache: um mich herum erkranken Leute mittleren Alters und auch Junge in viel zu großer Zahl sehr schwer, und daß diese Menschen ans Sterben denken, halte ich für sicher. Auch ich beginne angesichts dieser offensichtlichen Fragilität der Gesundheit und des Lebens anderer, über das Ende meines Lebens nachzudenken.
Hätte ich eine bucket list, die ich abarbeiten wollte, wenn ich sicher wüßte, mein Ende ist nah? Solch eine Liste ist ja häufig Thema in Filmen, in denen Menschen von einem Krebsleiden oder einer Demenz erfahren, aber das Leben nicht einfach so zu Ende gehen lassen wollen. Allerdings bin ich mir sehr sicher, daß in einem solchen Falle die „Abarbeitung“ einer bucket list nicht so einfach ist, wie es in den Filmen dargestellt wird. Die meisten Krankheiten lassen ja nicht zu, bis zum Ende topfit zu bleiben und zum Schluß einfach tot umzufallen. Die Angst, die körperlichen Beschwerden, Schmerzen und dergleichen – all das dämpft doch ganz bestimmt die Energie und die Lust am Erlebnis.
Zurück zu meiner eigenen bucket list: ich glaube, ich habe keine. Gewiß, es gibt ein paar Menschen, die ich gern noch ein Mal wiedersehen würde. Aber ob dieses Wiedersehen wirklich eine Freude wäre, bleibt dahingestellt. Vielleicht erinnern sich diese Menschen ja gar nicht mehr an mich, oder sie teilen mein Bedürfnis nach einem Wiedersehen gar nicht – was dann? Dann ist der Moment verhunzt, und die Erinnerungen, die den Wunsch haben entstehen lassen, sind es auch.
Die Leidenschaft fürs Reisen war bei mir noch nie sonderlich ausgeprägt, insofern gibt es auch kein Sehnsuchtsziel, das ich unbedingt noch sehen will. Ich vermisse nichts, wenn ich Bali, die Malediven, New York oder Shanghai nie gesehen habe. Teresa Berganza ist tot, der Traum, sie mal live singen zu hören, ist also ausgeträumt. Schmerzt mich das? Nur wenig, wenn ich ehrlich mit mir bin.
Was kann, was muß ich da für mein Leben und mich ableiten? Bin ich im Reinen? Insgesamt zufrieden? Ich denke, ja.

 

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