Frau Schletterer singt nicht mehr

06
Ju
Der Umgang mit dem eigenen Rassismus
06.07.2022 12:50

Immer wenn ich irgendwo lese, daß eine Straftat rassistisch motiviert war oder jemand im Alltag jemanden aus rassitischen Gründen angepöbelt, diskriminiert oder anderweitig beleidigt oder vor den Kopf gestoßen hat, frage ich mich: was geht in den Menschen vor, die rassistisch empfinden?
Und dann muß ich mir aber sogleich an die eigene Nase fassen. Denn: wenn ich ehrlich bin, bin ich auch selbst nicht wirklich frei von Gedanken und Gefühlen, die man durchaus in die Rassismusschublade stecken könnte.
Begegne ich z. B. jemandem, dem man direkt ansieht, daß seine/ihre ethnischen Wurzeln einem arabischen Land zugehörig sind, bin ich zunächst skeptisch, wie die Begegnung verlaufen wird. Spricht die Person mich dann in Muttersprachendeutsch an, ist jede Skepsis sofort wie weggeblasen. Dann sehe ich nicht mehr die Person, deren biologische Wurzeln nicht mitteleuropäisch sind, sondern ich empfinde das Gespräch direkt als ein Gespräch zwischen zwei Menschen, die deutsch sind. Schwarze Haare, dunkler Teint und schwarze Augen? Völlig egal. Wir sprechen ja dieselbe Sprache, sind beide in Deutschland aufgewachsen.
Höre ich aus der Sprache meines Gegenübers allerdings einen Akzent heraus, der darauf hindeutet, daß er oder sie nicht in Deutschland aufgewachsen ist, erwarte ich unwillkürlich und ohne, daß ich das verhindern könnte, ein nicht ganz so unkompliziertes Gespräch, denn schließlich ist ja anzunehmen, daß wir in unterschiedlichen Kulturen groß geworden sind und uns daher nicht ganz so einfach verständigen können. Und „Verständigung“ ist in diesem Zusammenhang in meiner Erwartungshaltung nicht auf das Sprachliche beschränkt.
Diese Haltung ist ja insofern Humbug, als jemand, der völlig akzentfrei auf Muttersprachenniveau deutsch spricht, genauso unter dem Einfluß und Eindruck einer anderen Kultur aufgewachsen sein kann. Und dennoch tritt die bei mir in diesem Fall gefühlt total in den Hintergrund.
Ob die Erwartung, dass kulturelle Unterschiede zu Schwierigkeiten in der Kommunikation führen könnten, als rassistisch einzuordnen ist, ist, so finde ich, nicht so eindeutig zu beantworten. Daß bei mir aber der Gedanke mitschwingt, mein Gegenüber könne mich und meine Beweggründe dann ja zweifellos nicht richtig verstehen, ist m. E. nicht ganz so unproblematisch. Denn genau so gut könnte ich ja von mir selbst erwarten, daß ich diejenige bin, die sich bitteschön auf die Unterschiede zum/zur anderen einstellt und versucht, die Sichtweise des Gegenübers zu verstehen.
Alles in allem muß ich mir also eingestehen, daß mein Umgang mit Fremdem und „Fremden“ nicht ganz so entspannt und unvoreingenommen ist, wie ich das gern von mir behaupten würde. Das gefällt mir gar nicht, aber ich weiß nicht, wie ich das abstellen kann. Irgendjemand eine Idee?

 

Ich bin fertig - und nun?
Erinnerungen an Taizé

Kommentare


Datenschutzerklärung