Frau Schletterer singt nicht mehr

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Fe
Woran wir uns erinnern wollen
03.02.2022 14:01

Kürzlich las ich zwei nachdenklich stimmende Feststellungen:
1) Das Jahr 1970 ist von 2022 genau so weit entfernt wie von 1918
2) Für Kinder von heute sind die Hits aus den Achtzigern, wie die aus den Vierzigern es für meine Generation waren
Das sind natürlich zwei völlig logische und korrekte Feststellungen. Neutral betrachtet wenig spektakulär. Wenn ich mir aber überlege, wie genau ich mich sowohl an das Jahr 1970 zu erinnern meine, und wie ich mich an die Achtziger definitiv lebhaft entsinne, dann frage ich mich, wie es passieren konnte, daß eine so lange Zeit einfach an mir vorübergeflogen zu sein scheint, wo die doch nur im günstigsten Fall fast ein dreiviertel Menschenleben ausmacht. Oft ist es ja viel mehr.
Außerdem sollte es mir zu denken geben, wie nah der erste(!) Weltkrieg meiner Lebenszeit tatsächlich war.
Wenn ich als Kind meine Mutter nach bestimmten Begebenheiten ihrer Jugend fragte, antwortete sie oft: „Ach, das ist doch schon 20 Jahre her, da erinnere ich mich nicht mehr“. Damals habe ich ihr das geglaubt, denn als 11jährige hatte ich ja keine Vorstellung davon, was man in 20 Jahren alles vergessen kann. Heute allerdings bin ich überzeugt davon, daß sie manches schlicht nicht erzählen und an anderes sich einfach nicht erinnern wollte. Denn wieso sollte ihr Erinnerungsvermögen schlechter gewesen sein als das anderer Leute? Vielleicht war es ihr auch einfach zu mühsam, ihre Kinder an ihren Erinnerungen teilhaben zu lassen.
Fakt ist natürlich, daß ich viele Episoden, an die sich meine alte Schulfreundin Andrea erinnert, völlig vergessen habe. Dafür gibt es aber sicherlich Begebenheiten, die sich mir eingeprägt haben, aber ihr komplett entfallen sind. Insofern kann es natürlich sein, daß meine Mutter sich an einiges, nach dem wir fragten, wirklich nicht erinnerte. Aber ich glaube es nicht wirklich, denn unsere Fragen bezogen sich ja meist auf… ja, ich will es Meilensteine ihres Lebens nennen.
Möglicherweise verbargen sich hinter verdrängten Erinnerungen ja aber auch ungelebte Träume. Mama wäre das zuzutrauen…

 

Was ist schön?
Auf der Suche nach den Reben

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