Frau Schletterer singt nicht mehr

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Ju
Abschied
10.06.2020 08:37

Gestern haben wir meinen Vater zur letzten Ruhe gebettet.
Er war mit 86 Jahren gestorben. Er hatte nicht mehr gewollt, und krank, wie er war, durfte er nun gehen.
Es ist tröstlich, daß er so alt hat werden dürfen, aber doch war es natürlich traurig, sich gestern von ihm verabschieden zu müssen.
Im Glauben darauf, daß er jetzt wieder bei meiner Mutter ist, standen wir an seinem Grab. Nachdem die Trauergäste, die nicht zur Familie gehören, sich vom Friedhof verabschiedet hatten, sah ich auf einmal die Enkel, also meine Neffen und Nichten, mit Schnapsgläschen in der Hand da stehen und einander zuprosten. Ich dachte, ich sehe nicht richtig, bis ich erkannte, was sie da in ihren Gläschen hatten. Sie tranken Baileys, einen Likör, den mein Vater sehr gern gemocht hatte, und sprachen einen Toast auf ihn aus. Das hätte ihm gefallen, und er hätte gewiß ein Gläschen mit getrunken, wenn er noch unter uns geweilt hätte.
Wie wir da standen und bei einem Likör Erinnerungen an meinen Vater austauschten (ich trank nicht mit, weil ich das Zeug nicht runterkriege), löste sich auch die Traurigkeit auf, und wir lachten sogar miteinander über Episoden, die wir mit ihm erlebt hatten.
Und als wir anschließend das Grab begutachteten und gemeinsam Pläne machten, wie wir es ein wenig schöner gestalten könnten, als die Gärtnerei, die mit der Grabpflege betraut ist, es derzeit tut, fanden wir schnell Ideen, wie das aussehen könnte, so daß es auch meiner Mutter gefallen würde, die neben meinem Vater ruht.
Das war, man mag es kaum glauben, ein so wohltuendes Beisammensein, das dem Abschied viel von seinem Traurigen genommen hat.
Wir haben dann auch recht gelöst den Friedhof verlassen, und in dem Wissen, daß meine Eltern nun frei von allem Leid wieder beisammen sind, fiel die Heimfahrt relativ leicht.

 

Pfiffig, pfiffig!
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