Eine Bekannte von mir (eine sehr weitläufige Bekannte, aber immerhin) erzählt relativ häufig von ihren Kollegen und den Fehlern, die die so machen, bis der Tag vorüber ist. Durchaus auch Fehler, die sie dann dank ihrer Fachkompetenz wieder geraderückt.
Das erinnert mich sehr an eine Kollegin, die ich mal hatte, die aber jetzt (gottlob, möchte ich sagen) im Ruhestand ist. Wenn die von anderen gesprochen hat, dann ausschließlich, um deren Fehler, Unzulänglichkeiten und negative Charaktereigenschaften aufzudröseln. Sie selbst kam dabei natürlich immer sehr gut zur Geltung, denn sie versäumte nie, ihre (im Vergleich zu der dieser für die Gesellschaft und Arbeitswelt nicht ganz so wertvollen Personen) herausragende Bedeutung zu betonen, die sie kraft ihrer Gene und ihres eigenverantwortlich erworbenen Weiterbildungsniveaus erlangt hatte.
Ich kann mich nicht erinnern, daß sie über jemanden, der/die sie nicht mit seiner/ihrer Position oder unzweifelhaft nachgewiesenen Fachkompetenz beeindruckt hatte, oder der/die einfach nur ein/e Kollege/-in aus dem eigenen Haus war, je unaufgefordert positiv gesprochen hätte.
Da mußten schon andere kommen, um das zu schaffen. Leute, die in anderen Firmen z. B. Geschäftsführerpositionen innehatten, und denen sie imponieren wollte! Denen ging sie um den Bart und schleimte sich ein. Und uns erzählte sie von ihnen immer mit der Grundaussage, wie gut sie sich mit ihnen auf Augenhöhe hatte austauschen können, und wie eng sie nun in weiterem Kontakt geblieben waren.
Die Gute nannte also nach ihren eigenen Worten nur Freunde und Bekannte ihr Eigen, die beeindruckend, gebildet, erfolgreich, energiegeladen und damit ihr selbst ebenbürtig waren oder zumindest ihren Ansprüchen genügten.
Wobei der Wahrheitsgehalt dessen, was sie über ihre eigenen Vorzüge zu berichten wußte, oftmals in Zweifel gezogen werden mußte, vor allem wenn es um ihre körperliche Fitness ging. Sie betonte immer wieder, daß sie Ausdauersport betrieb, konnte aber die konkrete Sportart, wenn man sie danach fragte, nie benennen. Und eines Tages war sie mit mir mit der Bahn nach Hannover unterwegs, und wir mußten in Mannheim umsteigen. Dafür mußten wir den Bahnsteig wechseln, und zwar durch die Unterführung hindurch, erst die Treppe runter, dann wieder hinauf und hinein in den Zug. Ich war noch nie sonderlich fit, aber bei diesem Treppengelaufe hängte ich sie um mehrere Meter ab, und fast wäre der Zug ohne uns abgefahren, da sie es beinahe nicht geschafft hätte. Da wunderte ich mich sehr; und Jahre später erfuhr ich von Kolleginnen, daß sie denen die Geschichte am nächsten Tag gerade andersherum erzählt hatte. Daß nämlich ich es gewesen sei, wegen der wir beinahe den Anschlußzug verpaßt hätten.
Ich frage Sie: wieviel Selbstbetrug kann einer sich antun und aushalten? Hat ihr das damals wirklich was gegeben, sich ihr eigenes „Versagen“ nicht einzugestehen? Daß sie damals derart gelogen hat, und das auch noch ohne Not, sagt m. E. ja viel darüber aus, wie wenig sie ihren eigenen Ansprüchen genügt, und wie sehr sie das belastet.
Irgendwie tut sie mir leid.